Unsere mentale Gesundheit in Krisenzeiten aus neurophysiologischer Sicht
Was immer Sie gerade persönlich erleben – ob Sie ängstlich sind, Ihre Gedanken rasen oder Sie extrem müde sind: das sind ganz normale Reaktionen Ihres Körpers auf eine als bedrohlich und überwältigend wahrgenommene Situation mit einem unsichtbaren Feind. Unser autonomes Nervensystem stellt auf Überlebensmodus um und geht in den Kampf-, Flucht- oder Totstellmodus.
Anzeichen von Kampf-oder Fluchtreaktion sind z.B. rasende Gedanken, Hyperaktivität, Schlafprobleme, Reizbarkeit oder Panik. Wenn Fliehen oder Kämpfen keine Option sind, geht der Körper in eine Art Winterschlaf und stellt sich innerlich tot. Er geht in den Totstellmodus und Sie fühlen sich vielleicht extrem müde, hilflos oder sogar depressiv. Im Überlebensmodus fokussiert sich unser Blick nur auf die Bedrohung und unser präfrontaler Cortex, zuständig für die Steuerung unser Handlungen oder das Lösen von Problemen, wird langsam zum Stillstand gebracht. Reaktivität ersetzt bedächtiges Handeln.
Da wir nichts ändern können, was wir nicht vorher wahrnehmen, ist der erste Schritt zur Veränderung und zur Selbstregulation: bewusst wahrzunehmen wo wir uns augenblicklich befinden und was in uns geschieht: Wo stehe ich, wo sitze ich, was fühle ich, wie fühlt sich das im Körper an? Die Orientierung im Raum hilft uns, uns zu erden und das einfache Benennen von Gefühlen kann eine gewisse Distanz zu ihnen zu verschaffen.
Die Angst, die uns erfasst, passiert nicht nur im Gehirn, sondern im ganzen Körper. Unsere Muskeln spannen sich an, insbesondere im Schulter- und Nackenbereich, der Bauch zieht sich zusammen, der Atem wird flach. Wir kollabieren in die Hilflosigkeit.
Wir können dem Körper zum einen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu machen, die denen der Angst und Hilflosigkeit entgegenstehen. Zum anderen geht es darum, die im Körper gespeicherte Kampf-, Flucht- oder Totstell-Energie auf eine behutsame Art und Weise zu entladen, so dass Sie wieder mehr im Hier und Jetzt ankommen können und handlungsfähiger werden. Um das zu erreichen bieten sich folgenden Möglichkeiten an:
Atmen und Tönen:
„WU-Ton-Übung: „Atmen Sie normal ein. Beim Ausatmen machen Sie den Ton “WU“. Stellen Sie sich dabei vor, wie der Ton von ganz tief unten im Bauch kommt. Atmen Sie wieder normal ein und wiederholen die Übung 2x. Spüren Sie der Vibration des Tons nach und beobachten Sie, was in Ihnen geschieht.
Singen, „Ohm“, Bienensummen „Brahmari“, Lachen, Pferdelippen, 4x Einatmen, 6 x Ausatmen
Bewegung: Meditation, Yoga, Joggen, Feldenkrais, Tanzen, Springen und Hüpfen, Spielen, Klopfen, Selbstberührung etc.
Suchen Sie sich professionelle Unterstützung durch einen körperorientierten Therapeuten oder Coach, falls alte Traumata hochgespült werden oder unangenehme Gefühle die Überhand gewinnen und die Interventionen zur Selbstregulation nicht greifen oder ausreichen.
Und gehen Sie mitfühlend und geduldig mit sich um. Um von einem Zustand der Angst und Überwältigung zu einem Zustand der inneren Stabilität und “neuer Normalität” zu kommen, bedarf es Geduld, Übung und Mitgefühl mit sich selber – und die Fähigkeit gegebenenfalls um Hilfe zu fragen.
Ariane Füchtner