Mit der Natur schwingen
Wir im “zivilisierten” Westen leben (noch) in einem überwiegend linearen Zeitverständnis - oft gegen die Natur. Wir bewegen uns geradeaus von einem Punkt A weiter zum Punkt B und so weiter. Darauf konditioniert, dass es stets vorwärts gehen soll, fällt es uns nicht leicht, innezuhalten, wenn sich eine Grenze zeigt.
Ob im persönlichen Leben oder an der Börse: Wenn die Entwicklung stagniert, werden wir nervös. Das männliche, lineare Prinzip des Vorwärtsgehens, dabei Widerstände zu überwinden und Neues zu erschaffen, ist die Grundlage unseres kapitalistisch geprägten Systems und regiert weit in unsere unbewussten Glaubenssysteme hinein. Das Primat des “Nur wenn ich etwas leiste, bin ich etwas wert”, das schon in der Schule vermittelt wird, lässt das Leben für viele als Überlebenskampf erscheinen, in dem es darum geht, so gut wie möglich zu “performen”. Diese tief ins Bewusstsein eingeprägte, ökonomisch dominierte Logik stellen wir noch wenig in Frage, obgleich die zerstörerischen Auswirkungen, sowohl global als auch im persönlichen Leben, zunehmend deutlich spürbar werden. Eher zweifeln wir an uns selbst.
“Jedes Werden in der Natur, im Menschen, in der Liebe muss abwarten, geduldig sein, bis seine Zeit zum Blühen kommt.”
Dietrich Bonhoeffer
Indigenen Völkern ist diese lineare Denkweise eher fremd. Tief verbunden mit den Kreisläufen der Natur stehen weibliche Prinzipien des Empfangens, der Geduld und des Nährens mindestens gleichrangig mit “kriegerischen”, männlich-linearen Prinzipien. Die Zyklen der Natur zu achten und als Bestandteil des eigenen Werdens und Schaffens zu verstehen, ist eine dringend notwendige Erweiterung unseres Horizontes.
Es geht um ein qualitatives, gesundes Wachstum im Einklang mit der Natur. Ein ganzheitliches Wachstum, das die Kreisläufe von Werden und Vergehen berücksichtigt, anstatt Ressourcen einseitig auszubeuten. So wie in der Natur alles wächst, gedeiht und nach einer Blütezeit wieder zerfällt und umgewandelt wird, so können wir auch unsere eigenen Entwicklungsprozesse, Produkte und Projekte gestalten.
Anstatt also atemlos von einer Aufgabe zur nächsten zu rennen, dürfen wir uns die Phasen des “Ausbrütens” und der Verarbeitung erlauben, unser eigenes “Erntedankfest” feiern und die “Früchte” unseres Wirkens immer wieder vollständig anerkennen. Dabei Geduld mit uns selbst und anderen haben. Das bereitet einen guten Boden dafür, dass Neues gut wachsen kann. Andererseits gilt es auch, nicht zu lange im Ausbrüten zu verharren und den Schritt hinaus zu wagen, wenn es “dran” ist. Und nicht an etwas festzuhalten, das sich “überlebt” hat.
Als Orientierung ist hier das Medizinrad sehr hilfreich. Es ist ein Symbol, das einige alte Naturvölker verwenden, um die zyklischen Kräfte von Mutter Erde zu ehren.
Die frischen, nach Draußen drängenden, kreativen Kräfte des Frühlings haben genauso ihren Platz wie das Feuer und Feiern des Sommers und die herbstlichen Qualitäten des Verarbeitens und Umwandelns. Im Winter liegt scheinbar vieles brach. Und doch wird im Innern der Erde der Samen für das Neue bereitet.
Vieles wird leichter, wenn wir uns diese natürlichen Rhythmen zu eigen machen und uns mehr im Einklang mit den Kräften bewegen.
Bild zur Meldung: kie-ker auf Pixabay