40, 50, 60 … Lebensstufen
Runde Geburtstage sind ein Grund zum Feiern? Kommt drauf an. Für manche von uns sind sie eher ein Menetekel des unaufhaltsamen Alterungsprozesses. Die 40 geht noch, mit 50 wird es schon ernster. 60?... schwierig, der endgültige Abschied von der Jugend (?)...
Mit 70 oder 80 darf man sich dann (hoffentlich ganzheitlich gesund) entspannen und die Bonusjahre genießen.
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern…(aus “Stufen”, Hermann Hesse)
Das klingt wahr. Aber mal ehrlich: Wer freut sich schon darüber, wenn die Alterserscheinungen des Körpers unübersehbar werden und das eigene Ende erstmals in konkrete Reichweite rückt? Wenn mehr Leben hinter einem liegt als vor einem. Wer mag schon eine welke Blüte sein bzw. so aussehen? Ich nicht.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten…
(s.o.)
Ok, schauen wir mal auf die Habenseite. Wir werden mit zunehmendem Alter weiter und höher - im Geiste. Ja! Das könnte ein Ausgleich für die nachlassende Spannkraft und Leistungsfähigkeit sein. Gelassen, souverän, weise - nicht mehr so sehr “anhaften”, nicht mehr so verbissen wie bisher. Auch hier geht es um die Lassenskraft (vgl. März-Ausgabe), um die Fähigkeit, sich zu verabschieden, loszulassen von dem, was gewesen ist. Das fällt umso leichter, je verlockender die “neuen Räume” sind, die wir - vielleicht sogar mit einer gewissen Neugier - betreten können.
Dazu bedarf es bewusster Schritte - das, was hinter uns liegt, die Jugend, die “dem Alter weicht”, bewusst zu verabschieden und das Kommende zu begrüßen. Wie ein Gang über die Schwelle.
In anderen Kulturen gibt es dafür Übergangs- und Initiationsrituale. Ein Ritual bekräftigt unsere Absicht, indem es die Verkörperung ermöglicht, das heißt, dass wir den Schritt in eine neue Lebensphase nicht nur verstandesmäßig vollziehen, sondern mit allem, was wir sind. Körper, Geist und Seele. So gibt es den “Schwellengang” tatsächlich als Ritual, es wird auch “Medicine Walk” genannt.
Der Schwellengang
Wir gehen mit dem Thema in die Natur - zum Beispiel: Welche neue Qualität möchte sich in der kommenden Lebensstufe entfalten? Wovon darf ich mich verabschieden?
Wir wandern einige Stunden, in der Regel fastend, mit diesen Fragen. Und achten darauf, was uns die Natur spiegelt. Lassen den Geist ruhig werden, versuchen nicht krampfhaft Antworten zu finden, eher finden die Antworten uns, durch die Natur. Wie auf einer Mini-Pilgerreise begeben wir uns auf den Weg zu uns selbst und öffnen uns für das, was kommen mag.
“Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden” …
(s.o.)
Freuen wir uns also auf den nächsten runden Geburtstag, bleiben wir neugierig auf die nächste Lebensstufe. Vielleicht sogar auf den Ruf der Todesstunde.
Bild zur Meldung: © Pascal Meier auf Unsplash