Cowgirl lost im Spessart
Wer, so wie ich zur Generation der Baby-Boomer gehört, wurde von Werbung geprägt, die Geschichten erzählten vom „Flavour“ des Abenteuers und der Freiheit. Auf Großleinwand sogen wir den Geruch von unberührter Natur und Lagerfeuerromantik in uns auf. Die Sehnsucht nach dem Klang der Freiheit ist bis heute ein Motor und Bestandteil meines Handelns. So erwarb ich von meinem ersten Einkommen ein Pferd, um mit seiner Hilfe - und der eines Pferdeanhängers - meine kleinen Fluchten antreten zu können. Voller Vorfreude nehme ich bis heute den Geruch von Pferd und Leder in mir auf, als Vorbote von Freiheit und Abenteuer.
Wie bei jenem denkwürdigen Ausritt durch den Spessart.
Im Dunste des frühen Morgens sattelte ich meine Stute, verstaute Proviant, Regenkleidung, Halfter und Strick in den Satteltaschen. Ich überprüfte noch einmal sorgfältig meine Ausrüstung und ging erneut die Route in meinem Kopf durch. Nach nur wenigen Minuten nahm mich der Wald mit seinen breiten, grünen Armen in Empfang. Ich durchritt diese einzigartige Landschaft bestehend aus Laubwäldern, Auen und unberührter Natur, in der sich die Zeit zu verlieren schien. Nur ich und mein Pferd, im rhythmischen Viertakt durch die Stille der Natur. Immer wieder hielten wir an um dem Atem des Waldes zu lauschen. Die Stunden vergingen, bis wir einen Campingplatz erreichten. Zeit und Ort stimmten mit meinem Plan im Kopf überein – noch. Denn schon bald breitete sich diese ungnädige Gewissheit aus, falsch abgebogen zu sein. Der Unsicherheit folgte für einen kurzen Moment Verzweiflung, als wir erneut dieselbe Schutzhütte passierten, an der wir Stunden zuvor gerastet hatten.
Mein Blick in den Himmel verriet mir, dass wir unter Zeitdruck standen. Mein Blick auf das Handy verriet mir keinen Empfang zu haben. Es dämmerte! Die Emotionen geprägt vom kläglichen Versagen, überdeckten für einen Moment die Fähigkeit klarer Gedanken. Wie kann man so verpeilt und desorientiert sein? Wie finde ich je wieder nach Hause, wenn es dunkel wird?
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch”
Friedrich Hölderlin
Aus einer spontanen Eingebung heraus gab ich meiner Stute die Zügel frei und bat sie, allein den richtigen Weg für uns beide zu finden, der auch für sie fremd war. Ich ließ mich von ihr tragen und mit jedem Meter wuchsen Vertrauen und Zuversicht. Und tatsächlich, das Wunderbare trat ein: Nach einer Dreiviertelstunde erblickte ich die Dächer unserer Anlage.
Diese Geschichte ist bezeichnend für das, was folgte. Ein Leben voller Freiheit und der Gewissheit im richtigen Moment loszulassen. Die Dinge geschehen zu lassen und sich mit ihnen neu auszurichten - dies ist eine meiner Leitlinien in der Arbeit mit den Menschen. Freiheit und Abenteuer ohne Loslassen gibt es nicht. Es ist das Yin und Yang des Lebens, ganz im Vertrauen und ganz im Hier und Jetzt.
Bild zur Meldung: © Rebecca Scholz auf Pixabay