Die Stille hinter dem Schrei
Im Ausschrei „Auaah!“ verdichtet sich der stechende Schmerz, nachdem der Hammer auf unseren Daumen gedonnert ist. Der Daumen wird gekühlt und der Schmerz klingt ab – so die Theorie.
In der Praxis beginnen wir jedoch zu bewerten und zu kritisieren: „Ach hätt` ich doch…“, „Du hast mal wieder…“. Der Schmerz vergeht, doch wir sitzen im Kopfkino und schauen altbekannte Filme vom Versagen in der x-ten Wiederholung. Schmerz ist meist eine Momentaufnahme – was bleibt, ist unser Widerstand und mit ihm das Leid. Die Kurzformel lautet: Leid = Schmerz x Widerstand. 1
Im Alltag stellen wir fest, dass wir den Hammer gar nicht brauchen. Wir leiden auch ohne den dicken Daumen. Permanente innere Kommentare und strenge Urteile begleiten uns ebenso wie Sorgen und Ängste, Sehnsüchte und Enttäuschungen.
In der Lehre des Yoga und der Yogapsychotherapie liegt die Ursache von Leid in einer Verwechslung: Wir bringen Kopfkino und unser leidfreies, unverletztes Tiefenselbst – manch eine:r spricht hier vom göttlichen Kern - durcheinander. Unser Kopfkino-Ich verliert sich in Tränen oder Aktionismus, die wir sonst auf Hollywoodleinwänden sehen. Ohne Abstand leben wir in den Filmen unseres Kopfkinos, identifizieren uns mit den Rollen und sind auch eins mit all der inneren Kritik, den Sehnsüchten und Ängsten.
In dieser Kopfkinodynamik gibt es auch ruhige und wunderbar anrührende Passagen, es ist nicht alles negativ gefärbt. Allein: Wir sind das nicht! Es ist nur ein Ausschnitt von uns. Und wir übersehen durch das imposante Geschehen auf der Leinwand unseres Kopfkinos das große Ganze von uns selbst. Denn unser leidfreies Tiefenselbst - seine Stille und Weite - nehmen wir nicht bewusst wahr. Auch beim stechenden Schmerz des Hammer-Daumen-Kontaktes sind wir mit der Stille verbunden. Es ist die Stille hinter unserem Schrei. Das gleiche gilt fürs Kopfkino in den Wirren des Alltags. Doch wie erfahren wir diese Stille?
Ent-identifizieren und ent-täuschen wir uns!
Yoga möchte zukünftiges Leid verhindern! Im Yoga und der Yogapsychotherapie geht es in all den Körper-, Atem-, Reflexions- und Meditationsübungen nur darum, diese Stille und Weite des Tiefenselbst von unserem mentalen Getöse und dem Kopfkino unterscheiden zu lernen. Klappt es, uns zu ent-täuschen, rückt unser Tiefenselbst in den Fokus. Gelingt es, unseren Geist immer zuverlässiger auszurichten und uns von Höher-schneller-weiter-Wünschen, Sorgen und Ängsten oder alten Verletzungen und Zurückweisungen zu ent-identifizieren, dann können wir den Schmerz verschmerzen und das Leid reduzieren. Ent-identifizieren wir uns von diesem Leinwandgeschehen und schöpfen wir uns aus dem Tiefenselbst, werden wir innerlich ruhiger - stiller und weiter.
1 In: Germer, C. (2017). Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl. S.28. Arbor: Freiburg.
Bild zur Meldung: © pixabay.com