Wieder in Verbindung kommen
Ein konstantes, existenzielles Grundbedürfnis, noch vor dem ersten Herzschlag beginnend, ist das Bedürfnis nach Verbundenheit und Resonanz.
“Der Mensch wird am Du zum Ich”
Martin Buber
Wir kommen zur Welt und bedürfen des Du. Es sind andere Menschen, die uns dabei helfen, Bedürfnisse zu erfüllen und die Resonanz erzeugen: die Reaktion auf unsere Anwesenheit ist essentiell, wie ein “Beweis”, dass wir überhaupt existieren.
Ohne beantwortet zu werden, ohne Resonanz, haben wir wenig Chancen, uns selbst zu erfahren und gut zu entwickeln.
Solange wir noch nicht erwachsen sind, also selbst die Verantwortung für die Erfüllung unserer Bedürfnisse übernehmen, solange wir also noch “bedürftig” sind, hängt einiges von der kompetenten Fürsorge der Menschen ab, die uns nahestehen; im Regelfall sind das die Eltern. Da diese hierzulande jedoch oft selbst wenig Verbundenheit und positive Resonanz erfahren haben, konnten sie nicht viel an uns weitergeben.
Wer als Kind überhaupt keine stabilen Bindungen erfahren hat, wird später sehr oft mit massiven Störungen zu kämpfen haben.
“If you've never seen a good time
How would you recognise one”
Sinead O'Connor, 'Til I Whisper U Something’
Wir sind häufig nicht ganz “artgerecht” aufgewachsen, vielmehr in einer dauerhaften Unterversorgung unseres Resonanzbedürfnisses.
Und so haben wir dieses notgedrungen heruntergefahren oder ganz abgespalten.
“Verbindung brauch ich nicht, ich komm alleine klar.”
Diese Abspaltung geschieht in der Regel weitgehend unbewusst.
Gleichzeitig finden wir Wege, um zu kompensieren. Essen, bunte, bewegte Bilder, Geschichten hören oder selbst erzählen (viel reden und Aufmerksamkeit bekommen). Suchtartiges Verhalten, das neue Probleme kreiert und das zugrundeliegende Bedürfnis nicht wirklich erfüllen kann.
So entstanden kollektive Kompensationsmechanismen, die unsere ganze Gesellschaft prägen. Das ökonomische System ist auf Konsum ausgerichtet, das einen großen Teil zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Ein Bruttonationalglück, wie in Bhutan, wird bei uns nicht ermittelt.
In persönlichen Beziehungen kommen entsprechende Strategien zum Tragen. Manche wählen eine “Verschmelzungsstrategie”, indem sie versuchen, sich intensiv mit möglichst vielen Menschen zu verbinden. Dabei blenden sie jedoch meist eigene Bedürfnisse aus. Oder wir ziehen uns zurück, in der Gewissheit, dass da draußen sowieso wenig zu holen ist. Erschaffen uns ein eigenes, autonomes Universum, in dem andere nicht mehr als nötig vorkommen.
Die gute Nachricht: Ein nicht erfülltes Bedürfnis lässt sich “nachnähren”. Je nachdem wie wenig das Ur-Bedürfnis nach Verbundenheit erfüllt wurde, ist eine mehr oder weniger intensive therapeutische Arbeit notwendig.
Thomas Hübl und Norbert Klein (“Gopal”), die sich eingehend mit kollektiver und individueller Verbundenheit befasst haben, bieten mit “Transparenter Kommunikation” und “Ehrlichem Mitteilen” neue Wege an. Es geht darum, Mitgefühl für sich selbst und andere zu entwickeln und offen und “ehrlich” mitzuteilen, was wirklich in uns vorgeht. Das ist ein erster und wichtiger Schritt, um sich über die eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden. Es ist zugleich eine kultureller Evolutionsschritt, heraus aus der Kompensation und übersteigerten Autonomie hin zu einem Leben in nährenden Gemeinschaften.
Andreas Fiedler, Business-Coach und leitender Redakteur der Potsdamer Impulse
Bild zur Meldung: © Kelly Sikkema auf Unsplash